Freitag, der 17. Juli 1914
* Spekulationen über das Ultimatum *
Die Übergabe des Ultimatums wird auf den 23. Juli vorverlegt, da auch der französische Staatsbesuch in Russland schon an diesem Datum enden wird. Außenminister Berchtold informiert – da Tschirschky auf Stippvisite in der Heimat weilt – dessen Stellvertreter Wilhelm zu Stolberg (1870–1931). Im Gespräch mit Stolberg räumt er ein, dass eventuell die Möglichkeit bestehe, dass das Ultimatum doch von Serbien angenommen werde.
Stolberg tobt. Das Ganze könne wieder mal ausgehen wie das Hornberger Schießen und Österreichs Ansehen weiter beschädigen, schimpft er in einem Brief an Jagow. Auch habe sich Berchtold nicht mit Italien abgesprochen, da er nicht auf die Verschwiegenheit des Bündnispartners vertraue. Später am Tag hat Stolberg dann aber ein Gespräch mit Hoyos und der versichert, dass kein Staat, der noch etwas Selbstbewusstsein und Würde habe, das geplante Ultimatum annehmen könne. Auch über Kompensationen für Italien wolle man nachdenken.
Doch nicht nur auf Italiens Verschwiegenheit ist kein Verlass. Heinrich von Lützow (1852–1935), ein emeritierter österreichischer Diplomat, vertraut dem britischen Botschafter in Wien, Maurice de Bunsen (1852–1932), an, seine Regierung wolle ohne Rücksicht auf ein etwaiges russisches Eingreifen gegen Serbien vorgehen und habe dabei die volle Rückendeckung Deutschlands. Lützow habe dies von Außenminister Berchtold direkt erfahren, meldet Bunsen nach London. Zu ihm selber dagegen sei Berchtold reizend gewesen und habe über alles Mögliche geplaudert, nur kein Wort über Serbien. Auch sein serbischer Kollege Jovanović sei ob des ominösen Schweigens der k.u.k.-Regierung höchst besorgt. Ob er Jovanović aufgeklärt hat, verrät Bunsen nicht. Sicher ist nur, dass er Lützows Indiskretion dem russischen Botschafter Nikolai Schebeko weitergegeben hat, der darüber prompt seine Regierung informierte.
Der britische Gesandte in Belgrad, Dayrell Crackanthorpe (1871–1950), dagegen berichtet, die Haltung der serbischen Regierung sei „behutsam und versöhnlich.“ Ministerpräsident Pašić habe dem österreichischen Gesandten Giesl zugesagt, jedem Ansuchen um polizeiliche Unterstützung und andere Maßnahmen nachzukommen, die mit der Würde und Unabhängigkeit des Staates vereinbar seien. Ganz ähnliche Zusagen macht drei Tage später der serbische Geschäftsträger in Berlin gegenüber Außenamts-Chef Jagow.
Der Pester Lloyd, eine ungarische Zeitung, die als offiziös gilt, meldet derweilen, Serbien berufe seine Reservisten ein. Das Heer solle auf halbe Kriegsstärke gebracht werden. Außerdem schreibt der Lloyd, dass das Ergebnis der österreichischen Untersuchungen in Sarajewo erst in zwei oder drei Wochen veröffentlicht werde. In der Frankfurter und der Vossischen Zeitungdagegen ist zu lesen, dass dies schon Ende der nächsten Woche geschehen soll.