Juli 1914
10. Juli 1914

Freitag, der 10. Juli 1914

* Deutsche Kriegsvorbereitungen * Pressespekulationen * Der Tod des russischen Botschafters in Belgrad*

 

In Berlin findet im kleinsten Kreis eine Sitzung statt, bei der innenpolitische Maßnahmen für den Kriegsfall besprochen werden. Neben Bethmann Hollweg, Jagow und Delbrück nimmt auch der Reeder Albert  Ballin (1857–1918) teil. Er ist Generaldirektor der HAPAG (Hamburg-Amerikanische-Packetfahrt-Actien-Gesellschaft), der größten Schiffslinie der Welt. Außerdem ist er – obwohl er die deutsche Flottenpolitik gegen England ablehnt – einer der engsten Vertrauten des Kaisers und hat für Deutschland schon mehrmals in diplomatischer Mission in Großbritannien vermittelt.

 

In der deutschen Presse wird weiter über einen Schritt Österreichs spekuliert. Die nahezu einhellige Meinung ist: Es sei kein Eingriff in die serbischen Hoheitsrechte und kein Affront geplant. Man werde Hilfe bei den  Untersuchungen, Garantien gegen die großserbische Agitation und eine Erklärung der Regierung fordern, die sich von der großserbischen Propaganda distanziert. Wie solche Garantien aussehen könnten, darüber machen sich die meisten keine konkreten Gedanken. Nur die Vossische Zeitung, die in der ganzen Krise geradezu kämpferisch pro-österreichisch agiert, schlägt ein Ultimatum vor, das mit der Besetzung Belgrads droht, wenn den Forderungen nicht nachgekommen wird – was allerdings sowohl ein Affront wie auch ein Eingriff in die Hoheitsrechte Serbiens wäre.

Die sozialdemokratische Münchener Post findet deshalb all die Verlautbarungen wenig beruhigend. „Über Verletzung von Souveränität pflegen in solchen Fällen die beiden Beteiligten meist verschiedener Meinung zu sein“, schreibt sie. Außerdem solle wegen der Untersuchungsergebnisse eingeschritten werden, ohne dass man von offizieller Seite das Mindeste über diese Untersuchungen erfahre. Um serbischen Gerichtsbeistand bei den Mordermittlungen zu verlangen, brauche es weder Ministerratssitzungen noch Audienzen. „Allein wie wagt man, den Staat und seine Völker Gefahren entgegen zu treiben, und sagt nicht Grund und Ursache.“ Das Ganze trage wieder „das echte Gepräge Berchtoldscher Politik, dieser Schwäche, die gefährlich um sich schlägt, um den Starken zu markieren.“ Mit diesen Sorgen steht die Münchener Post allerdings ziemlich alleine da.

Allgemein wird damit gerechnet, dass der Schritt noch diese Woche erfolgen soll. Woher diese Terminangabe stammt, ist wieder nicht zu erklären. Aber vermutlich wirkt sie beruhigend. Wenn Deutschland einen Schritt duldet, während der Kaiser und wichtige Politiker im Urlaub sind, dann muss er tatsächlich harmlos sein.

 

Anderen setzt die Krise mehr zu. In Belgrad trifft am Abend der übergewichtige und herzkranke russische Botschafter Hartwig seinen gerade aus dem Urlaub zurückgekehrten österreichischen Kollegen Wladimir Giesl (1860–1936). Mitten in der Besprechung erleidet er einen Herzanfall. Obwohl innerhalb von fünf Minuten ein Arzt zur Stelle ist, stirbt Hartwig kurze Zeit später.

 

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