Juli 1914
12. Juli 1914

Sonntag, der 12. Juli 1914

* Deutsches Drängen * Deutsche Öffentlichkeitsarbeit * 

 

Österreichs Botschafter Szögyény-Marich meldet aus Berlin, alle „maßgebenden  hiesigen Faktoren“ würden Österreich-Ungarn aufs Nachdrücklichste ermuntern, den jetzigen Moment nicht verstreichen zu lassen, sondern ein für alle Mal mit dem „revolutionären Verschwörernest“ Serbien aufzuräumen. Zum einen sei die öffentliche Stimmung wegen der Bluttat von Sarajewo günstig. Zum anderen aber sei Deutschland überzeugt, dass Russland in der Zukunft auf jeden Fall Krieg führen wolle, jetzt aber noch nicht gerüstet sei und deshalb eventuell untätig bleibe. Für Englands Neutralität dagegen gebe es sichere Anzeichen. Erstens hätte die deutsch-britische Annäherung in letzter Zeit Fortschritte gemacht, zweitens seien die Briten keineswegs darauf aus, für Serbien oder auch Russland die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

 

Dass man sich in Berlin der englischen Neutralität keineswegs so sicher ist, beweist jedoch ein Auftrag, den Außenamts-Chef Jagow seinem Londoner Botschafter gibt. Er legt Lichnowsky dar, zur Lokalisierung des österreichisch-serbischen Konfliktes „ist es nötig, dass die öffentliche Meinung in Europa es ihren Regierungen ermöglicht, der Austragung der Differenz zwischen Österreich und Serbien ohne Parteinahme zuzusehen. Es ist daher erforderlich, dass auch in der dortigen Presse schon jetzt eine Stimmung geschaffen wird, die in dem Attentat … den Ausfluss einer mit dem Kulturgewissen Europas unvereinbaren politischen Verbrechermoral sieht und die es begreiflich erscheinen lässt, dass die Nachbarmonarchie sich gegen diese dauernden Bedrohungen …. zur Wehr setzt.“ Lichnowsky soll in diesem Sinn auf die britische Presse einwirken, ohne den Anschein zu erwecken, als hetze Deutschland Österreich zum Krieg auf. Parallel lässt Jagow in Wien darauf dringen, dass möglichst viele Beweise gegen die großserbische Agitation gesammelt werden, um Munition für eine Kampagne zu haben.

Lichnowsky jedoch, der weder jetzt, noch später erfährt, dass ein bewusst unannehmbares Ultimatum gegen Serbien geplant ist, warnt Jagow, dass die englische Presse sehr unabhängig und wenig beeinflussbar sei. Im Augenblick sei sie pro-österreichisch, werde aber mit Sicherheit Partei für Serbien nehmen, sobald Österreich zur Gewalt greife, „selbst durch Heraufbeschwörung der blutigen Schatten Dragas und ihres Buhlen, dessen Beseitigung vom hiesigen Publikum schon längst vergessen ist.“ Gegen die öffentliche Meinung aber werde die Regierung kaum etwas unternehmen, da das Land sowieso schon durch den Homerule-Streit um die irische Autonomie gespalten sei.

 

Auch die österreichisch-ungarische Regierung versucht, die öffentliche Meinung in Europa für sich zu gewinnen. Der deutsche Botschafter Tschirschky berichtet, alle k.u.k.-Botschafter seien mit genügend Geld ausgestattet, um die Presse des jeweiligen Landes zu beeinflussen, vor allem Kajetan von Mérey in Rom (1861–1931). Mérey wolle jedoch vorsichtig vorgehen, um kein Misstrauen zu wecken und den gegenteiligen Effekt zu erzielen. Der Botschafter in Bukarest soll versuchen, die Zeitung Adeverul zu kaufen. Solche Machenschaften waren allerdings keine deutsch-österreichische Spezialität und beschränkten sich nicht auf die Julikrise. So hatte etwa Russland seit längerem mittels Zahlungen an französische Blätter für eine gute Presse beim Allianzpartner gesorgt.

 

In der deutschen Presse dagegen sind die Spekulationen über Österreichs Pläne inzwischen zu Randnotizen geschrumpft. Dabei herrscht typische Saure-Gurken-Zeit und es gibt keine anderen Geschehnisse von weltpolitischer Bedeutung, die das Attentat und seine Folgen in den Schatten stellen. Nur der sozialdemokratische Vorwärts ist beunruhigt. Denn in derKölnischen Zeitung heißt es, Deutschland werde Österreich unbedingt unterstützen. Aufgrund der bekannten Nähe der „Kölnischen“ zu Regierungsstellen hält der Vorwärts diesen Kommentar für eine offiziöse Äußerung.

 

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