Juli 1914
20. Juli 1914

Montag, der 20. Juli 1914

* Vorbereitung des Ultimatums * Kurzporträt: Theodor Wolff * Der Kronprinz * Affäre Caillaux *

 

Österreichs Außenminister Berchtold weist seinen Belgrader Gesandten Giesl an, sich auf keine Diskussionen über das Ultimatum einzulassen, nichts zu erklären und keine teilweise Annahme zuzulassen. Sollte das Ultimatum nach 48 Stunden nicht bedingungslos akzeptiert worden sein, solle er sofort abreisen.

Auch den Botschaftern in Berlin, Rom, Paris, London, St. Petersburg, Konstantinopel, Bukarest, Sofia, Athen, Cetinje (damals Hauptstadt Montenegros) und Durazzo (Durrës/damals Hauptstadt Albaniens) lässt er den Text des Ultimatums zukommen, der am 24. Juli – also erst am Tag nach der Übergabe in Belgrad – den jeweiligen Regierungen zusammen mit einer Rechtfertigung, vorgelegt werden soll.

 

Die serbische Regierung dagegen sendet ein Rundschreiben an die europäischen Mächte, in dem sie erklärt, sie werde alle Forderungen nach einer strengen Untersuchung des Attentates erfüllen, soweit sie mit der Würde und Souveränität des Königreiches vereinbar seien. Sie habe diese Bereitwilligkeit auch schon direkt nach dem Attentat erklärt, aber Österreich habe bislang nur Angaben über den Aufenthalt einiger entlassener Priesterseminaristen verlangt und diese auch bekommen.

 

Der deutsche Innen-Staatssekretär Delbrück beraumt eine Sitzung über die Erklärung des Kriegszustandes und anderer Mobilmachungsmaßnahmen für den 24. Juli an, einen Tag bevor das erwartete Ultimatum endet.

 

Sein Außenamts-Kollege Jagow drängt derweil Berchtold noch einmal wegen Italien und schlägt vor, das albanische Valona (Vlora) als Kompensation in Aussicht zu stellen. Der österreichische Außenminister ist jedoch entschieden dagegen und erteilt seinem Botschafter in Rom umfangreiche Sprachregelungen, wie er eventuelle italienische Ansprüche zurückzuweisen hat.

Jagow lässt außerdem Paul Behncke (1866–1937) vom Admiralstab (Marine-Pendant zum Generalstab) zu sich rufen und fragt ihn, ob man seiner Ansicht nach eine Neutralität Englands in einem möglichen europäischen Krieg erreichen könne, indem man drohe, andernfalls „Holland einzustecken“. Behnckes Mitarbeiter Albert Hopman (1865–1942) notiert dazu in seinem Tagebuch, etwas Dümmeres habe Jagow nach Meinung des Admiralsstabs gar nicht vorschlagen können. Hopman hält auch den Eindruck fest, der deutsche Außenamtschef mache dieser Tage einen sehr nervösen und ängstlichen Eindruck. Er scheine die Lage für ernster zu halten als Arthur Zimmermann, der in der vergangenen Woche mehrmals beteuert habe, er glaube nicht an große europäische Konflikte.

 

Jagows Mitarbeiter Stumm nimmt derweil Kontakt mit dem Journalisten Theodor Wolff auf, der mit seiner Familie Urlaub in Scheveningen macht. Er lässt ihm durch Felix von Müller (1857–1918), den deutschen Gesandten in Den Haag, einen Brief überbringen, in dem er schreibt: „Die serbisch-österreichische Auseinandersetzung, die allmählich anfängt, die öffentliche Meinung immer mehr zu beschäftigen und zu erregen, macht es doch sehr wünschenswert, dass wir in der Sache möglichst Fühlung behalten.“ Ob Wolff am 24. wieder in Berlin sein könne? Wolff antwortet, er käme am 25.

Die Sache ist nicht ganz so exotisch, wie sie sich anhört: Scheveningen und Den Haag liegen gerade mal ein paar Kilometer auseinander, und Müller und Wolff treffen sich auch ohne, dass die deutsche Regierung etwas von ihnen will. Aber die Geschichte zeigt doch, welchen Wert man in der Wilhelmstraße der Berichterstattung des einflussreichen Tageblatts zumisst.

 

Wolffs Kollegen erkennen derweil Jagows Notiz in der  „Norddeutschen“ als offizöse Verlautbarung und drucken sie fast einvernehmlich nach. Der Vorwärts will – warum, bleibt sein Geheimnis – ein gewisses Abrücken von Österreich-Ungarn herauslesen. „Diese Reserve behält man in Berlin hoffentlich bei. Selbst auf die Gefahr hin, dass jedes Zustimmungs- und Anerkennungstelegramm aus Zopot ausbleibt.“

 

In Zopot macht gerade der deutsche Kronprinz Urlaub. Allerdings begnügt er sich nicht damit, Tennis zu spielen oder mit seinen kleinen Söhnen Kanu zu fahren. Kanzler Bethmann Hollweg quält sich in Hohenfinow ein hochnotpeinliches Schreiben an den Kaiser ab. „Eurer Majestät muss ich alleruntertänigst melden, dass Seine Kaiserliche Hoheit der Kronprinz entgegen den Höchstdemselben erteilten und auch von ihm akzeptierten Ratschlägen neuerdings wieder mit telegraphischen Kundgebungen an die Öffentlichkeit zu treten beginnt.“ Der Prinz hat nämlich zwei Autoren, die sich – so Bethmann Hollweg – in „alldeutschen, kriegshetzenden Übertreibungen“ gefallen, öffentlich zu ihren Schriften gratuliert, was nicht nur der Vorwärts, sondern die ganze in- und ausländische Presse zur Kenntnis genommen hat. Der Kanzler befürchtet nun, dass der Kronprinz das österreichische Ultimatum zu weiteren Kundgebungen nutzen wird „die nach allem Vorangegangenen von unseren Gegnern als gewollte Kriegstreiberei angesehen werden, während es doch nach Eurer Majestät Weisungen unsere Aufgabe ist, den österreichisch-serbischen Konflikt zu lokalisieren. Die Lösung dieser Aufgabe ist schon an sich so schwierig, dass auch kleine Zwischenfälle den größten Ausschlag geben können. Ich wage deshalb die alleruntertänigste Bitte auszusprechen, Eure Majestät möge Seiner Kaiserlichen Hoheit durch einen alsbaldigen telegraphischen Befehl jegliches politisches Hervortreten huldvollst untersagen.“

Der Kaiser reagiert umgehend. Schon am nächsten Tag bekommt der Prinz, immerhin ein Mann von 32 Jahren, ein Telegramm von „Papa Wilhelm“, der an sein „Ehrgefühl als preußischer Offizier“ appelliert und erklärt, er erwarte „mit aller Bestimmtheit“, dass der Sohn sich „ein für alle Mal … jeglicher politischer Äußerung Dritten gegenüber“ enthalte. Eine Kopie des Schreibens geht an Bethmann Hollweg und findet Eingang in die offiziellen Reichsakten. Wilhelm der Jüngere telegraphiert an seinen Vater „Befehle werden ausgeführt“ und an Bethmann Hollweg „Der Inhalt des Telegramms, welches Eure Excellenz in der bewussten Angelegenheit an seine Majestät gesandt haben, hat mich sehr interessiert“. Danach tritt er in der Krise nicht mehr in Erscheinung.

 

Das Leib- und Magenblatt des Kronprinzen dagegen, die Leipziger Neuesten Nachrichten, lassen erkennen, dass sie nichts gegen eine Zuspitzung des Konflikts einzuwenden hätten, dies dem Nachbarn aber nicht zutrauen. Was Österreich-Ungarn wirklich wolle, wisse niemand. Es versuche nur mal wieder, den Verbündeten in den Vordergrund zu drängen und rassele mit dem deutschen Säbel. „Der Wille zur Tat, der vielleicht in Franz Ferdinand noch einmal verkörpert war, scheint mit diesem Mann nun endgültig in das Grab gesunken zu sein.“ Die Sache werde mit Sicherheit versanden. Dabei sei die Gelegenheit, das Verhältnis zu Serbien zu „klären“, nie besser gewesen als jetzt, wo dem Land „der Abscheu der ganzen gebildeten Welt“ sicher sei.

 

Ansonsten gibt es für die Presse ein spannenderes Thema. In Frankreich beginnt der Prozess gegen Henriette Caillaux (1874–1943). Die Gattin des französischen Ex-Finanzministers Joseph Caillaux (1863–1944) hat den Chefredakteur des Figaro erschossen, weil er eine Kampagne gegen ihren Mann geführt hatte und gedroht, leidenschaftliche Liebesbriefe zu veröffentlichen, die Henriette ihrem Joseph schrieb, als der noch mit seiner ersten Frau verheiratet war. Die Anwälte wollen ihre Mandantin entlasten, indem sie aller Welt vor Augen führen, wie schmutzig die Figaro-Kampagne war. Folglich erwartet das Publikum saftige Details.

 

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