Juli 1914
7. Juli 1914

Dienstag, der 7. Juli 1914

* Kontroverse in Österreich-Ungarn * Russische Reaktionen *

 

In Wien tagt wieder der Ministerrat. Außenminister Berchtold zeigt sich sehr zufrieden mit den Ergebnissen der „Hoyos-Mission“. Er sei sich klar darüber, dass ein Waffengang mit Serbien den Krieg mit Russland zur Folge haben könne, gibt er zu, aber Russland arbeite an einem Zusammenschluss der Balkanstaaten gegen Österreich-Ungarn. Ein Gewährenlassen würde der k.u.k.-Monarchie sowohl bei den eigenen Südslawen wie auch in Rumänien als Schwäche ausgelegt werden. Deshalb sei es die logische Folge, den Gegnern zuvorzukommen und mit Serbien abzurechnen, bevor die Entwicklung hin zu einem vollends russisch dominierten Balkan nicht mehr aufgehalten werden könne.

Tisza widerspricht. Der ungarische Ministerpräsident ist angesichts der serbischen Pressekommentare der letzten Tage nicht mehr ganz so entschieden gegen eine kriegerische Aktion, sperrt sich aber vehement gegen einen Überraschungsschlag. Um die öffentliche Meinung, auch in Rumänien, auf seiner Seite zu haben, müsse es  unbedingt zuvor ein hartes, aber nicht unerfüllbares Ultimatum gegen Serbien geben, findet er. Außerdem will er auf keinen Fall eine vollständige Vernichtung Serbiens oder eine - auch nur teilweise - Annexion durch Österreich-Ungarn dulden.

Aber im Grunde ist er immer noch dafür, erst einmal ein Bündnis mit Bulgarien zu schließen, nachdem Deutschland auch in dieser Sache grünes Licht gegeben hat. Er meint, dieses Bündnis könne man leicht auf die Türkei ausweiten und wohl auch Rumänien bei der Stange halten, indem man Bulgarien zum endgültigen Verzicht auf die Dobrudscha dränge.

Doch er findet kein Gehör. Der österreichische Ministerpräsident Stürgkh und Finanzminister Biliński erklären, ohne Serbien auszuschalten, bekäme man die Verhältnisse in Bosnien-Herzegowina nie in den Griff. Auch Kriegsminister Alexander von Krobatin (1849–1933) befürchtet, dass eine Beschränkung auf eine diplomatische Aktion gegen Serbien als Schwäche ausgelegt würde. Stürgkh führt noch an, dass man durch eine Politik des Zauderns in Gefahr laufe, sich der rückhaltlosen deutschen Unterstützung zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr sicher sein zu können. Ob er wirklich solche Ängste hat oder der Einwand nur ein taktisches Manöver gegen Tisza darstellt, ist schwer zu sagen.

Um dem ungarischen Ministerpräsidenten entgegen zu kommen, finden sich die anderen aber schließlich bereit, ein Ultimatum zu akzeptieren, jedoch nur, wenn dieses ein militärisches Eingreifen zur Folge hat. Tisza beharrt, die Absicht, unannehmbare Forderungen zu stellen, dürfe wenigstens nicht klar erkennbar sein. Bei dieser Annäherung belässt man es. Ein Beschluss wird nicht gefasst. Auch nicht darüber, was nach einem Krieg mit Serbien geschehen soll. Den deutschen Verbündeten allerdings lässt man wissen, was Hoyos in Berlin über eine Zerschlagung Serbiens gesagt habe, sei lediglich dessen Privatmeinung gewesen.

Der Öffentlichkeit wird mitgeteilt, der Ministerrat habe Verwaltungsmaßnahmen für Bosnien-Herzegowina beschlossen.

 

In Militärkreisen dagegen hat man keine Zweifel, was kommen wird. Der deutsche Militärattaché in Wien, Karl von Kageneck (1871–1967) telegraphiert an Generalstabschef Moltke, ein Mitglied des österreichischen Kriegsministeriums habe ihm gesagt: „Diesmal ist der Krieg gewiss.“ Österreich beabsichtige Serbien derartig starke Forderungen zu stellen, dass ein Nachgeben ausgeschlossen sei und auch Russland aktiv auftreten müsse.

 

Fürs Erste aber versucht Russland zu deeskalieren. Der Gesandte in Belgrad, Nikolaus Hartwig (1857–1914), bekommt den Auftrag, der serbischen Regierung Vorsicht zu empfehlen, um die antiserbische Stimmung im Ausland nicht noch zu verstärken.

In der Wiener Neuen Freien Presse erscheint außerdem ein Artikel, in dem es heißt: „Wie uns von besonderer Seite mitgeteilt wird, sind in Russland alle Kreise einig in der Verurteilung des Attentats.“ Entgegen anders lautenden Gerüchten werde es im Zarenreich keinen Protest geben, wenn Österreich eine Untersuchung in Belgrad verlangen sollte.

Der deutsche Botschafter Tschirschky nimmt mit dem Autor des Artikels Kontakt auf und erfährt, dass hinter der „besonderen Seite“ die russische Botschaft in Wien steckt. Der Journalist war telefonisch dorthin bestellt worden und hatte vom Sekretär des Botschafters die abgedruckte Erklärung bekommen. Der Sekretär habe auch noch – wie Tschirschky nach Berlin weitermeldet – hinzugefügt, dass Russland einer „Beeinträchtigung der politischen Selbstständigkeit Serbiens“ nicht zusehen werde. Diese Warnung aber habe nicht veröffentlicht werden sollen.

 

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